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Im Test: Vampyr (PS4, XBOX One, PC)

Die Franzosen von Dontnod und Focus Home Interactive lassen die Vampire wieder auferstehen. Nachdem die Entwickler sich erst in Remember Me mit einer dystopischen Zukunft beweisen konnten, dann mit Life Is Strange gegenwärtige Teenagerprobleme lösten, führen sie uns nun ins gepeinigte London vergangener Tage und versprechen ein makabres Action-Rollenspiel klassischer Qualitäten. Wer bei diesen Worten Blut geleckt hat, folgt uns zum Test.

Vampire sind exzentrisch. Ihr unsterbliches Dasein formt einen außergewöhnlich herausgebildeten, oftmals auch arrogant-zynischen Charakter. Ihr Charisma strahlt regelrecht aus der Dunkelheit ihres ewigen Seins heraus. Und so sind die Werke, die sich mit Vampiren befassen, für gewöhnlich ebenfalls sehr ausdrucksstark, überzogen, überstilisiert, fast schon schwülstig.

Vampyr hingegen besinnt sich nicht nur etymologisch zu den Anfängen der blutsaugenden Folklore zurück. Vampyr verzichtet auf prunkvolle Garderoben, wehmütige Schlösser, erhabene Tanzbälle und wilde Partys. Wir sind in London im Jahre 1918. Nicht Vampire entziehen der Stadt das Leben, sondern Krieg und Krankheit. Der Erste Weltkrieg forderte seinen Preis, hinterließ Armut und Tod, und das Elend befeuerte direkt hinterher die Spanische Grippe, eine schier unbesiegbare Pandemie, die das Stadtbild leidvoll prägte.

In diesen unheilvollen Zeiten wird ein Mann wiedergeboren. Ex-Militärarzt Jonathan Reid erwacht in London aus dem Tod als blutdurstiger Vampir. Ohne eine Erinnerung an die zeitnahen Geschehnisse, leiten ihn lediglich Rachegefühle und das unbändige Verlangen nach rotem Lebenssaft durch die Stadt.

Diese ist direkt relativ offen, jedoch auch sehr kompakt und ohne ausufernden Spielraum. Ein Gefühl der Größe verleiht das Leveldesign, das zaghaft an die Souls-Spiele erinnert und viel Linearität bietet, die sich dann durch das Freischalten von Abkürzungen in der offenen Erkundung auflöst. Eine gar größere Inspirationsquelle war aber zweifelsohne Vampire: The Masquerade – Bloodlines. Wie bei diesem renommierten und stark verwandten Rollenspiel haben wir auch hier mehrere morbide Distrikte mit ihren friedlich gesinnten Bewohnern und vereinzelten patrouillierenden Gegnergruppen zwischen den belebten Vierteln der Stadt und in ihren Nischen.

Während unserer Stadtbesichtigung lernen wir nicht nur die Hintergründe und die Bewohner kennen, sondern in seinen Reaktionen und Dialogen unseren überraschend interessanten Spielcharakter. Trotz seiner kantigen Erscheinung ist Dr. Reid viel weniger Held als Arzt. Es ist eine ungewöhnlich frische Darstellung eines Hauptcharakters, gerade in diesem übernatürlichen Szenario, wenn der Protagonist Vernunft über die Lässigkeit stellt und sein Auftreten von Bildung und Denkvermögen gezeichnet ist und weniger von coolen oder humorvollen Sprüchen.

Jede Szene und jedes Gespräch nimmt auf diese Weise auf sehr bodenständige und erwachsene Weise nicht nur die Spielwelt, sondern auch den Spieler ernst. Humor und Bombast werden einige vermissen, aber ohne einen regelrecht mit Informationen zu erschlagen wie viele textlastige Rollenspiele, verrmittelt Vampyr fordernd und historisch ambitioniert recherchiert Handlung und Hintergrund der Ära.
Es sind aber auch die kleinen Geschichten, die begeistern. Jeder der knapp 60 Bewohner hat seine Mysterien und Intrigen, einen spannenden Nebenplot, den es aufzuklären gilt. Dabei spielen die Beziehungen untereinander eine wichtige Rolle und nur wer seine Umgebung nach verlorenen Briefen und versteckten Gegenständen absucht, Dialoge aufmerksam verfolgt und dabei die richtigen Knöpfe beim Gegenüber drückt und zwielichtige Aktionen beschattet, wird mit einer befriedigenden Auflösung belohnt.

Bewegende, wenn auch meist tiefschwarz-melancholische menschliche Dramen und Schicksale sind aber nicht der einzige Lohn für die Mühen. Je mehr wir über einen Charakter wissen, desto mehr Leben können wir ihm auch entziehen. Haben wir also eine umfangreiche Nebenquest abgeschlossen, locken die Beteiligten mit kostbarem Blut, unserer wichtigsten Quelle für Erfahrungspunkte um unseren Hauptcharakter zu entwickeln. Es stellt sich also ständig die moralische Frage, ob wir unsere Mitmenschen verschonen wollen und so die Gesundheit der Gesellschaft und Stabilität des jeweiligen Bezirks aufrechterhalten oder ob wir unserem Durst nach Blut nachgeben – vielleicht zumindest bei den dunklen, kriminellen Gestalten der Stadt -, von zusätzlicher Stärke profitieren und so im Zweifel auch härtere Herausforderungen in Angriff nehmen können. Dieses innovative System, das das Personennetzwerk der Stadt mit ihren Quests und Dialogentscheidungen so stark mit der spielerischen Komponente und dem (einzigen) Schwierigkeitsgrad verflechtet, ist so ehrgeizig wie genial. Nicht immer ist das Balancing dieser komplexen Spielmechanik ideal, im Gesamten reizt das Abwägen der Vor- und Nachteile potentieller Konsequenzen aber ungemein und bereichert das Spielerlebnis.

Wie wir uns auch von unseren blutsüchtigen Gelüsten oder unserer Moral beeinflussen lassen, am Ende gibt es mehr oder weniger Erfahrungspunkte, die wir in die Charakterentwicklung investieren können. Das schließt simple Verbesserungen unserer Gesundheit und Stamina ein, aber auch das Erlernen neuer Fähigkeiten, die wir mit unserer Ressource Blut auslösen können. So können wir uns beispielsweise unsichtbar machen, einen Gegner anspringen, eine Blutaura kreieren, die den Feinden Blut entzieht oder die Kontrolle über Widersacher übernehmen. Zusätzlich rüsten wir unsere Waffen, von Sensen und Pflöcken bis Pistolen und Flinten, mit Schillingen auf.

Der Kampf selbst ist dann sehr actionreich und erinnert mit seinen schnellen Dashes und Angriffen stark an Bloodborne, ohne annähernd die Präzision zu erreichen, lebt aber stärker vom Management der Ressourcen. Wir können unsere Gesundheit mit Blut etwas auffrischen und erhalten Blut, indem wir Gegner beißen, nachdem wir genug Betäubungsschaden verursacht haben, was wiederum viel Stamina zieht. Das Blut nutzen wir allerdings auch für unsere mächtigen Skills. Letztendlich schafft das Spiel eine motivierende, dynamische Balance dieser Mechaniken. Einziger Wermutstropfen ist die geringe Abwechslung bei den Feinden, so dass die Mehrheit der Gefechte ähnlich abläuft und wenig situative Spannung aufbaut.

So sehr die Auseinandersetzungen mit Vampirjägern und Monstern auch Spaß machen, der Fokus liegt auf den inhaltlichen Elementen des Spiels. Hier brilliert Vampyr mit seiner Nüchternheit und bitteren Ernsthaftigkeit, mit ausgezeichnet geschriebenen Charakteren und Dialogen, mit vielen interessanten Beziehungen, Aufgaben und Geschichten, mit einer kompakten, aber reichen Spielwelt, die ohne Ballast erkundet werden will, die viele geschichtliche, kulturelle und heidnische Hintergründe zum Aufdecken bereithält und komfortabel in übersichtigen Menüs sortiert. Vampyr ist aber ein ruhiges Spiel. Die starken Szenen leben mehr von starken Worten und weniger von rasanter Action. Die Höhepunkte sind Dialoge mit moralischem oder ideologischem Gewicht zwischen zwei charismatischen Charakteren.

Während diese Ausrichtung frischen Wind ins Medium bringt, ist die Umsetzung nicht immer vollumfassend gelungen. Einigen Nebenquests fehlt ein befriedigender Abschluss, mindestens inszenatorisch. Und auch die zentrale Geschichte verliert manchmal ihren Faden oder verheizt vielversprechende Konflikte und Charaktere. An einigen Stellen schienen die Ambitionen das Budget zu übersteigen.

Das gilt auch für die Technik. Die Grafik ist stilistisch schön, wirkt stellenweise wie ein trauriges Gemälde aus der dargestellten Epoche. Leider bricht die Framerate auf den Konsolen oftmals ein und graphische Details sind teilweise lückenhaft umgesetzt. So wirkt beispielsweise das Teleportieren, das jede Form von Sprüngen ersetzt, manchmal wie eine billige Notlösung. Hin und wieder kommt es auch zu Ladepausen während der freien Erkundung. Es handelt sich hierbei nicht um Gamebreaker, aber einen hoch budgetierten, auf Hochglanz polierten Titel sollte man nicht erwarten.

Das gilt aber glücklicherweise nicht für die musikalische Untermalung. Diese raubt mit schwermütigem Cello und kraftvollen synthetischen Klängen einem den Atem und hinterlässt bei präsentem Einsatz gerne eine Gänsehaut. Jede Szene wird dabei passend klanglich ergänzt, von ruhigen, subtilen Sounds bis hin zu einprägsamen, mächtigen Motiven. Vampyr bietet einen Soundtrack, der auch hinter den Grenzen des Videospiels begeistern kann.

Fazit:
Verabschiedet euch von der Exzentrik bekannter Vampire. Vampyr ist stockfinster und prahlt nicht damit. In dieser dunklen, von Krieg und Krankheit geplagten Stadt Londons gibt es kein Licht am Ende des Tunnels, und Vampire sind nur eine weitere Last in dieser zermürbten Gesellschaft. Wir sind nüchterner Beobachter des Elends, kein großer Held und Heilsbringer, allenfalls der Tropfen auf dem heißen Stein. Dieses Rollenspiel braucht keinen Bombast, keine ausschweifenden Szenerien, keine lässigen Sprüche. Es lebt von seiner kompromisslosen Ernsthaftigkeit, von inhaltlicher Stärke fernab jeglicher Klischees in seinen Charakteren und Dialogen, – und von einem einzigartigen Komplex aus Entscheidungen und Konsequenzen, die Story und Gameplay viel engmaschiger vernetzen als man es bisher in diesem Genre gewohnt war. Vampyr mag in vielen Punkten nicht mit den großen Blockbustern unserer Zeit mithalten können, aber dafür lässt es sich nicht vom Markt einschränken, sondern hat den Mut das Medium voranzubringen und geht einen steinigen und dunklen Weg, der trotz und wegen seiner Unzugänglichkeiten begeistert.

(getestet von eape)

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