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Im Test: Return of the Obra Dinn (PC)

Nach seinem erfolgreichen Dokumententhriller Papers, Please arbeitete der Entwickler Lucas Pope vier Jahre an dem als Versicherungsabenteuer beworbenen Spiel Return of the Obra Dinn. Das betitelte Genre wird den ein oder anderen Spieler nicht weniger abschrecken als die historisch anmutende einfarbige Darstellung. Wir hingegen statten uns neugierig mit Stift und Papier aus und berichten in unserem Test über den Sachverhalt rund um das Segelschiff Obra Dinn.

2013 stellten wir uns die Frage, wie spannend denn die Simulation eines Grenzbeamten schon sein könne. Entwickler Lucas Pope antwortete damals mit Papers, Please, einem dystopischen, politischen Drama, das in das arcadige Überprüfen und Abstempeln von Dokumenten eine unwahrscheinlich intensive und natürliche Geschichte mit Entscheidungen und Konsequenzen einbettete.

Heute schreiben wir das Jahr 1807, und als Havariekommissar für die East India Company sollen wir die Geschehnisse auf dem Frachtschiff Obra Dinn protokollieren, die zum Tod und Verschwinden der sechzigköpfigen Besatzung geführt hat. Dass hinter der Fassade eines schnöden Versicherungsverfahren wieder ein unkonventionelles, originelles Konzept steckt, muss uns der ‚Pope‘ dieses Mal nicht lange beweisen. Der erste Eindruck zieht uns bereits in den faszinierenden Bann dieses innovativen Abenteuers.

Bevor uns das Spiel ins frühe 19. Jahrhundert versetzt, reisen wir in die monochrome Computerwelt der 80er-Jahre. Ob spartanisches Menü oder die 3D-Umgebung, Return of the Obra Dinn zeichnet sich in beeindruckender 1-bit-Ästhetik mit klaren Konturlinien und plastischer Darstellung über das Dithering-Verfahren. Dieses reduzierte Art Design schafft nicht nur eigentümliche, doch malerische Bilder, sondern kreiert ebenfalls eine seltsam-unerforschte Atmosphäre, die uns auf dieser Erkundungsreise begleitet.

Ausgerüstet mit einem Notizbuch und grundlegenden Informationen über den Sachverhalt und einer mystischen Taschenuhr, der „Memento Mortem“, die es uns erlaubt Momente des Todes zu rekonstruieren, betreten wir das angespülte Segelschiff mit rein professionellen Absichten. Denn die Abenteuer dieses Schiffs sind längst passé, – erwartet keine verfluchten Geisterpiraten, ungeheure Seemonster und verlorene Schätze, diese existieren allenfalls noch in vergangenen Geschichten und alsbald in unserem Versicherungsbericht an die East India Company.

Es dauert nicht lange und wir entdecken vor der Kapitätskabine die knochigen Überreste eines verstorbenen Seemanns. Wir zücken unsere magische Taschenuhr und drehen die Zeit zum Moment des Todes zurück. Ein kurzer Dialog, ein Streit zwischen dem Kapitän des Schiffes und seiner Besatzung, läutet die kritische Szene ein und endet mit einem Stillleben zum Zeitpunkt eines schicksalshaften Mordes. Wir sehen wie mehrere Angreifer die Gemächer des Kapitäns stürmen, während er bereits den ersten Schuss aus seinem historischen Einzellader auf einen offenbar hochrangigen Offizier abgegeben hat.

Wir klappen unser Notizbuch auf und fassen die Szene zusammen. Ein Blick auf das Transkript verrät uns den Namen des Verstorbenen. Für unseren Bericht benötigen wir noch die Todesursache und im Falle eines Mordes, den Namen des Mörders. Eine Liste der Besatzungsmitglieder hilft uns hierbei weiter, und wir notieren, dass der Kapitän R. Witterel seinen Leutnant mit einem Schuss aus der Pistole tödlich verwundete.

Dieser Fall führt uns zu einem weiteren Mord, und so hangeln wir uns von einem tragischen Ereignis zum nächsten, protokollieren dabei die Todesursachen so gut uns möglich ist und fangen an langsam die Dramen und Abenteuer dieses unglücklichen Schiffs nachvollziehen zu können.

Spielerisch ist Return of the Obra Dinn somit ein Detektiv-Adventure, das seinen alleinigen Schwerpunkt auf die investigative Arbeit legt. Es ist im großzügigen Ausmaß non-linear aufgebaut. Wir springen mit der „Memento Mori“ zu frei wählbaren Todeszeitpunkten, füllen unser Notizbuch mit frei wählbaren Informationen und erhalten nur spärliche Reaktionen auf die Richtigkeit unserer Angaben. Letztendlich ist das Spiel ein riesiges Logikpuzzle, ein auf Linienschiffgröße aufgeblasenes Sudoku, das all unsere kombinatorischen Fähigkeiten fordert, und über dem Rätsel die Geschichte einer verstummten Reise zahlreicher Abenteuer spannt.

Die Story selbst vermittelt sich hierbei ungewöhnlich still und zaghaft, weit weg von der inszenatorischen Gewalt, die uns audiovisuelle Medien sonst bescheren. Vielmehr erinnern die monochromen Momentaufnahmen an Bilder zum Kapitelanfang eines ausufernden Epos, die kurzen Dialoge an die darauffolgenden Epigraphe. Return of the Obra Dinn erzählt eine Geschichte durch Auslassung und fordert die Fantasie des Spielers ähnlich einem Abenteuerroman.

Diese Mischung aus reduzierter, aber ansehnlicher Monochromästhetik, reduziertem, aber anspruchsvollem Adventuregameplay und reduzierter, aber gehaltvoller, abenteuerlustiger Inszenierung bei reduzierter, aber pointierter musikalischer Untermalung strahlt eine einzigartige Faszination aus, die keiner anderen Videospielerfahrung nahekommt. Wo andere Spiele uns mit Hinweisen und Belohnungen überschütten, um die Aufmerksamkeit zu wahren, reduziert sich Return of the Obra Dinn auf das Wesentliche und bietet gerade mal genug Hilfestellungen um einen gesunden Spielfluss zu sichern und schöpft so seine Motivation aus der gestalterischen Freiheit, die in unterschiedlichen Enden münden kann.

Fazit:
Ob es darum geht, Dokumente als Grenzbeamter abzustempeln oder einen nüchternen Bericht für einen Versicherungsfall zu verfassen, Entwickler Lucas Pope entpuppt sich in seinen kleinen, augenscheinlich unaufregenden Alltagssimulationen als großer Visionär des Videospielmediums. Return of the Obra Dinn reduziert sich visuell auf 1-bit-Grafiken, inhaltlich auf unbewegte Momentaufnahmen und spielerisch auf ein komplexes Kombinatorikrätsel und das Komplettieren eines Logbuchs, und all diese minimalsten Elemente tragen zusammen das Gewicht eines gamedesign-schweren Abenteuers, das seine beabsichtigten Lücken mit Neugierde, Fantasie und Faszination als Teil spielerischer und gestalterischer Freiheit füllen lässt. Die Obra Dinn kehrt hier mit reichen Schätzen für den offenen, innovationsliebenden Gamer zurück und ist ein Muss für jeden Spieler, der die Welt hinter dem Horizont erkunden will.

(getestet von eape)

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